Ich muss mal einen oppositionistischen Zwischenruf anbringen: Vieles von dem was ich in diesem Thread gelesen habe, würde ich sofort unterschreiben, aber der Grundtenor ist mir etwas zu nostalgisch. Ich bin nämlich definitiv der Meinung, dass die moderne Technik der Digitalkameras es wesentlich einfacher macht, gute Bilder zu machen.
Es gibt offensichtlich viele Wege zu guten Bildern, aber drei Aspekte halte ich persönlich für entscheidend: Das Licht hat Henry schon ausführlich angesprochen. Das zweite ist das Motiv. Und das dritte ist der Bildaufbau, die Struktur, die Geometrie.
Gerade was das Licht betrifft, hat die moderne Ausrüstung die Möglichkeiten enorm erweitert. Sei es ein erweiterter dynamischer Umfang der Sensoren, sei es rauscharmes Fotografieren bei hohen ISO-Zahlen, sei es evtl. auch ein AF der selbst bei schwachen Kontrasten und Dämmerlicht noch ermöglicht, sauber und schnell zu fokussieren. Am allerwichtigsten ist für mich aber die "digitale Revolution", Bilder gleich vor Ort betrachten zu können. Denn nichts ist so schwer zu beurteilen wie die Auswirkung des Lichtes auf ein Bild. Die Lichtwirkung durch ein Objektiv hindurch auf einen chemischen Film oder einen digitalen Sensor hat so wenig mit dem Eindruck des menschlichen Auges zu tun, dass es wohl nur äußerst erfahrenen Fotografen möglich ist, in schwierigen Beleuchtungssituationen (und die sind oft gerade die interessantesten) vorherzusagen, wie das Ergebnis aussehen wird. Mit der Kontrolle vor Ort kann man aber sofort sehen, wie der Effekt ist und dann ein zweites, drittes, viertes Bild machen mit etwas anderer Blende, Belichtungszeit, Kameraposition, Abschattung des Objektivs, Winkel zur Lichtquelle etc.
Solch ein Foto bei den gegebenen Lichtverhältnissen hätte ein guter Fotograf vielleicht auch mit einer alten Analogausrüstung hinbekommen. Ich kann das aber nur mit Fokussierung per LiveView und Sucherlupe (bei dem Licht hilft die beste Mattscheibe nichts), einem extrem rauscharmen Sensor und einem besonders lichtstarken Objektiv. Mit einer weniger guten Ausrüstung hätte ich blitzen müssen und das Licht wäre ganz anders gewesen - vielleicht auch interessant, aber nicht so wie ich es vor Ort gesehen habe. Deshalb möchte ich gute Ausrüstung nicht missen.
Was das Motiv betrifft, so gibt es sowohl Chancen als auch Gefahren durch die moderne Ausrüstung. Seien wir mal ehrlich, gerade hier unter uns "Altglasfreaks" gibt es doch ganz viele Situationen, wo man seine Ausrüstung, vor allem seine neuesten Objektive herumträgt und auf Teufel komm raus irgendwelche Fotos macht ohne jegliches brauchbare Motiv, nur um die spezielle Charakteristik, das tolle Bokeh und sonstige Eigenschaften der Linsen abzubilden. Solche technikgetriebenen Fotos haben wir doch alle auf dem Rechner herumliegen und wirklich gute Bilder sind wohl in den seltensten Fällen dabei. Das ist die Gefahr.
Andererseits gibt es aber auch eine Chance durch die Technik wenn man sie richtig nutzt, weil sie tolle Motive zugänglich macht, die einem ohne die Technik verwehrt bleiben. Bei mir hat die "Aufrüstung" in den letzten zwei Jahren eigentlich fast immer den Grund gehabt, dass ich ein Motiv gesehen habe, es aber wegen technischer Limits nicht fotografieren konnte: Zu langsam, das Motiv war weg. Zu lichtschwach, das Motiv war verwackelt. Zu wenig Brennweite, das Motiv war zu klein. Zu kleiner Bildwinkel, die Räumlichkeit ging verloren. Piepselige Menüsteuerung für wichtige manuelle Einstellungen, ruinierte Bilder durch Bedienungsfehler. Etc...
Auch hier bietet eine moderne Ausrüstung (Kamera und Objektive) mit der man vetraut ist (!) Möglichkeiten, Motive schnell und genau so wie man es möchte abzulichten, die ansonsten verloren gehen würden.
Und als letztes der Bildaufbau: Hier sehe ich eigentlich am wenigsten positiven Einfluss der modernen Technik. Denn abseits der üblichen Faustformeln hilft hier eigentlich nur Schulung des Auges und ausgiebige Beschäftigung mit dem Motiv. Da ist die Technik, die alles einfacher macht und beschleunigt wohl eher eine Gefahr: Man hat das Motiv so schnell und problemlos im Kasten, dass man sich nicht die Zeit nimmt, über die Feinheiten nachzudenken, vielleicht den Bildausschnitt und -winkel noch ein wenig zu variieren und die harmonischste oder spannendste Variante herauszufinden. Man ist vielleicht manchmal zu schnell zufrieden und investiert nicht die Mühe, die notwendig wäre um aus einem guten Bild ein besonderes zu machen, weil man gewohnt ist, dass alles mühelos geht.
Andererseits könnte man die Zeit und die Mühe, die einem die perfekte Ausrüstung an anderer Stelle spart, genau hierauf verwenden. Man muss eben nicht mehr tausend Dinge bedenken, um das Bild nicht durch einen dummen Fehler zu ruinieren sondern kann abgesichert durch wundersame Belichtungsautomatik, durch AF oder per Lupenansicht sichergestellte Schärfe und jede Menge Nachbearbeitungsmöglichkeiten bei Licht, Farben und Kontrast ganz auf daskKonzentrieren, was man in der Nachbearbeitung nur noch sehr begrenzt beeinflussen kann: Aufnahmeposition, Blickwinkel, Abstand, Ausschnitt und "Bildarchitektur".
Und das ist dann eigentlich meine Schlussfogerung: Die moderne, immer bessere Technik macht es für einen immer breiteren Kreis von Menschen immer leichter, bessere Bilder zu machen. Sie hält aber auch Fallen bereit, in die man nicht tappen darf wenn man vermeiden will, dass der Effekt sich ins Gegenteil verkehrt und die Bilder nur mehr und nicht besser werden. Die gelegentliche Rückbesinnung auf einfache fotografische Mittel ist eine von vielen Möglichkeiten, diese Gefahren zu erkennen und zu vermeiden. Sie ist aber nicht das Allheilmittel.



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Tausend Fotografen/tausend Antworten
G.A.S. lass nach !!!
