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Zeiss R-Biotar 0,73/100
Ich habe eine Weile gezögert, in welchem Bereich ich diesen Thread öffnen soll. Eine Objektivvorstellung ist es zwar im weitesten Sinn, aber unter dem Titel "Testbericht" wäre es ganz sicher falsch aufgehoben. Im Rahmen einer vermutlich hoffnungslosen Adaptierung bin ich eher auf der Suche nach Ideen und Unterstützung als dass ich es in der Bastelecke unter "Tipps zum Umbau" platzieren könnte. Und das Unterforum "Selbsthilfegruppe für entgleiste Sammler auf der Suche nach der ultimativen Lichtstärke" gibt es leider noch nicht. Also hier im Café Manuell:
Es geht um ein Objektiv mit dem klangvollen Namen Zeiss R-Biotar und den bemerkenswerten Eckdaten 100 mm Brennweite und Blende 0,73
Das "R" im Namen steht vermutlich für "Röntgen", denn dieses Objektiv stammt aus einem alten Röntgengerät und diente dort dazu, mit maximaler Lichtstärke das schwache Bild vom Röntgenfluoreszenz-Bildschirm abzufotografieren und auf fotografischen Film zu übertragen. Und das Filmformat war ganz offensichtlich Mittelformat 6x6 (dazu später mehr).
0,73/100 auf Mittelformat, das sollte einen Bildeindruck ergeben, der mit keiner anderen mir bekannten Optik erzielbar wäre. Sozusagen der Heilige Gral der Freistell-Fanatiker und Bokeh-Junkies. Da lohnen sich auch einige Anstrengungen, um auf irgendwelchen verschlungenen Wegen zu Bildergebnissen durch dieses Monster aus Glas und Metall zu kommen. Und die Anstrengungen sind auch durchaus physisch zu verstehen, denn wir reden hier über ca. 8 kg Glas und Metall. Die genauen Abmessungen kann ich bei Bedarf gerne nachreichen, aber grundsätzlich wünscht man sich für dieses Objektiv eher eine Lafette als ein Stativ:
Anhang 98800
Hier mit einem lichtstarken 50er Normalobjektiv als Größenvergleich:
Anhang 98801
Natürlich habe ich als erstes mit zittrigen Fingern versucht, eine Digitalkamera einfach mal hinter das Objektiv zu halten und herauszufinden, wie weit man wohl an die Rücklinse heran muss, um auf größere Entferungen scharfstellen zu können. Die Ergebnisse waren ernüchternd - das "Auflagemaß" scheint sehr gering zu sein. Wenn ich meine A7s direkt an die Rücklinse presse, dann kommt dieser Bildausschnitt heraus - und das ist eine ziemlich kleine Apfelsine...
Anhang 98802
Im Nah- und Makrobereich mit nicht vorhandener Tiefenschärfe weichverlaufende Farbkleckse zu produzieren, war nun aber nicht mein Ziel. So gewaltiges Freistellungspotential würde man doch viel lieber für Portraits oder lieber noch größere Ausschnitte verwenden. Aber dafür ist das Objektiv leider nicht konstruiert. Denn bei genauerer Betrachtung wird relativ schnell klar, wie der ursprüngliche Einsatz war und was sich dadurch an Limitierungen ergibt. So sieht das R-Biotar von hinten aus:
Anhang 98803
Das quadratische Element auf der Rückseite hat die Abmessungen 6,4 x 6,4 cm, also ziemlich genau Mittelformat und es ist vollständig plan. Die Vermutung liegt nahe, dass dort Mittelformatfilm verwendet und für die Belichtung mehr oder weniger direkt auf die Rückseite des Objektivs gelegt wurde. Das Auflagemaß für die ursprüngliche Verwendung war also sozusagen null, und selbst damit kommt man nur auf die Fokussierentfernung zwischen Objektiv und Röntgenschirm - wie auch immer die damals war.
Nun war der erste Gedanke, dass ich vielleicht dieses quadratische rückseitige Element entfernen und durch weitere mechanische Eingriffe die Kamera näher an bzw. weiter in das Objektiv hineinbekommen könnte. Doch leider stellte sich das schnell als nicht gangbar heraus: Dieses rückseitige Element ist nämlich kein Planglas sondern eine ziemlich dicke und auf der Vorderseite stark konkav geschliffene Linse, die einen elementaren Bestandteil des Systems darstellt. Wenn man die entfernt, kommen völlig unbrauchbare Ergebnisse heraus.
Somit blieb erst einmal nur die Option, genau das zu simulieren was der ursprüngliche Einsatz war, d.h. ein Bild direkt auf der optischen Ebene der Linsenrückseite zu produzieren. Der Aufwand mit Filmmaterial wäre ziemlich groß geworden - da hätte ich hintenrum alles lichtdicht bekommen müssen und gleichzeitig keine Chance auf eine Fokussierung gehabt. Also habe ich erst einmal versucht, ein Bild auf einem transparenten, matten Material zu produzieren, das direkt auf der Rücklinse liegt und dieses Bild mit Digitalkamera und Makro-Objektiv abzufotografieren. Und an diesem Punkt experimentiere ich nun schon seit einer Weile und stelle fest, dass es gar nicht so einfach ist, ein brauchbares Material dafür zu finden. Für die ersten quick-and-dirty Versuche habe ich dünnes Papier genommen, aber damit verliert man sehr viel Licht und man sieht die Papierstruktur erstaunlich deutlich. Dann habe ich mit möglichst dünnen, opaken Kunststoffmaterialien aus dem Modellbau experimentiert. Aber selbst die dünnsten Materialien, die ich gefunden habe, waren noch zu dick und lieferten daher unscharfe Bilder, denn die Schärfeebene hinter der Rücklinse ist bei einer so extremen Lichtstärke natürlich minimal und wenn das opake Material auf Vorderseite und auf Rückseite unterschiedliche Bilder liefert, die sich überlagern, dann ist das Ergebnis halt unscharf.
Die bisher besten Ergebnisse habe ich jetzt bekommen mit einer Original-Mattscheibe aus einer alten 6x6 Kamera, denn bei diesen Glasmattscheiben ist wirklich nur die Oberfläche einer Seite mattiert und der Rest klar. Und diese matte Seite liefert dann ein Bild, das zumindest leidlich scharf ist. Allerdings ist die Struktur der Mattierung immer noch zu grob und bei der Vergrößerung des abfotografierten Bildes deutlich sichtbar:
Anhang 98805
Anhang 98804
Man kann aber anhand dieser ersten Ergebnisse zumindest erkennen, dass grundsätzlich eine einigermaßen scharfe Abbildung möglich ist und dass man den Portraitbereich abdecken kann. Allerdings auch nicht mehr als diesen, denn für eine Fokussierung auf größere Entfernung besteht wie gesagt kein Spielraum.
Bei genauerer Betrachtung steht übrigens auf der vorderseitigen Fassung auch die Bezeichnung beta'= 1/6,3 und ich nehme mal an, dass damit der Vergrößerungsmaßstab gemeint ist. Das kommt mit dem Bildeindruck recht gut hin: Das Abbildungsformat auf der Rücklinse (= Filmebene) ist ca. 6x6 und der Bildausschnitt der Portraits ist ungefähr das 6-fache davon. Damit muss man sich wohl abfinden wenn man nicht ganz grundsätzlich und mit schwer absehbaren Folgen in das Linsensystem eingreifen will.
Die nächsten Schritte wären nun, ein besser geeignetes Material für die rückseitige Mattscheibe zu finden und dann eine Konstruktion aufzubauen, mit der ein halbwegs reguläres Handling möglich ist. Daher meine Frage hier in die Runde: Hat jemand schon Erfahrungen mit solchen Methoden der indirekten Bilderzeugung über eine Mattscheibe und kann ein geeignetes Material empfehlen?
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Die Spezialisten aus Holland mit ihren superfeinen Mattscheiben reagieren bisher leider nicht auf Mails. Aber vielleicht lasse ich das auch erst mal einfach so mit der relativ groben Mattscheibe - die Bilder haben schon einen sehr speziellen Charme...
Anhang 99142
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Bei Schwarzweiß finde ich die Körnigkeit durch die Mattscheibe nicht übermäßig störend, da kann man das wie einen analogen Film mit hoher Empfindlichkeit sehen. In Farbe sieht es für mich aber doch sehr nach "Glasscheibe" aus - aber durch die extrem geringe Schärfentiefe auch wieder interessant. Mich erinnert das durch den extremen 3D-Effekt ein wenig an Dioramen oder an diese 3D-Guckis aus meiner Kindheit...
Anhang 99188
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So, nach langem herumprobieren habe ich jetzt ein feineres Material für die "Mattscheibe" gefunden: Eine ausreichend dünne, opake Kunststofffolie aus dem Architektur-Modellbedarf. Diese habe ich mit einem passenden 6x6-Planglas auf der Rückseite der Linse angebracht. Jetzt sind die Bilder schon wesentlich weniger körnig - fängt langsam an nach richtigen Fotos auszusehen...
Anhang 101608
Das "Fokussieren" ist allerdings nach wie vor mehr oder weniger Glücksache. Ich habe das Trumm auf einem Makroschlitten angebracht, der mit den knapp 10 kg allerdings deutlich überfordert ist. Da muss ich mir noch mal was stabileres überlegen.
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So, jetzt kommt mal ein erster Blick auf den improvisierten Gesamtaufbau. Nicht dass ihr denkt ich hätte da ein auch nur halbwegs handhabbares Teil, mit dem man normal fotografieren könnte...
:lolaway:
Erst einmal habe ich wie schon beschrieben die Folie samt Klarglas mit Knetmasse als Fixierung hinten auf dem planen Rückteil aufgebracht:
Anhang 101784
Dann kommt ein Adapterteil, zusammengebaut aus einem PVC-Flansch für unterschiedliche Rohrdurchmesser (grau), zwei 3D-gedruckten Verbindungsteilen (orangefarben) und einer Metall-Streulichtblende mit Schraubanschluss 52mm:
Anhang 101785
Und an dieses 52mm-Gewinde kommt dann ein Micro-Nikkor 3.5/55 (https://www.digicamclub.de/showthread.php?t=14670), an dem hinten per Adapter eine Sony A7s hängt:
Anhang 101786
An dem Zeiss-Monster ist eine Stativplatte verschraubt, die wiederum auf einer Makroschiene zur "Fokussierung" sitzt. So sieht das ganze auf dem Stativ aus:
Anhang 101787
Und fragt jetzt bloß nicht ob das stabil ist. Die Antwort lautet natürlich nein. Es wackelt wie ein Lämmerschwanz. Ohne Fernauslöser ist gar nicht an scharfe Fotos zu denken.
:autsch:
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Und hier noch ein Beispielfoto, auf dem man ganz gut die Brauchbarkeit der Folie einschätzen kann: Bei dieser Bildschirmauflösung fängt in den Highlights eine schwache Struktur an aufzutauchen - von der Kamera kommt das jedenfalls nicht (A7s bei ISO 200). Für meine Zwecke genügt das erst einmal so. Jetzt muss ich zunächst an der Stabilität der Konstruktion arbeiten, die ist deutlich hinderlicher als die Feinstruktur in den Bildern.
Anhang 101788