Ein paar Gedanken / Thesen von mir zu diesem Thema:
- Testcharts - wie in Fotozeitschriften - können zwar objektive Ergebnisse liefern. Zumindest ich aber habe nicht die Geduld, so eine Prozedur mit jedem Objektiv zu wiederholen, und auch gar nicht die Voraussetzungen (Studio, Licht) und die Möglichkeit zur präzisen Auswertung (MTF/Linien zählen/...)
- Für mich zählt die Leistung in "meinen" Anwendungsgebieten (z.B. Landschaft, Macro, ...). Also nehme ich (wie Peter) ein neues Objektiv erstmal auf einen Spaziergang mit.
- Alte Objektive kaufe ich nicht, um die technisch machbare Auflösung oder Verzerrungsfreiheit zu erhalten, da sind moderne Entwürfe/Materialien meistens besser. Beim Altglas zählt für mich der besondere, individuelle Charakter der Objektive. Also z.B. das Bokeh, oder die besondere Zeichnung von Portraits. Darunter fallen teilweise auch Eigenschaften, die andere eher als Abbildungsfehler bezeichnen würden (Stichwort Meyer Trioplan 2.8/100mm)
Gute Testmotive sind:
- für Bokeh und Highlights: Objekte im Nahbereich mit verschiedenen Hintergründen (ruhig/unruhig), vor allem auch mit Spitzlichtern im Hintergrund (z.B. Lichterkette, glitzernde Wasseroberfläche). Bei Offenblende auf das Objekt im Vordergrund fokussieren, Blendenreihe machen. Das Zusammenspiel aus der Schärfe im Vordergrund und dem Unschärfebereich (Bokeh) im Hintergrund sagt viel über den Charakter des Objektivs aus. Insbesondere die Form der Highlights - Katzenaugen - ist oft wie ein Fingerabdruck eines Objektivs.
- CAs: starke Kontraste bei feinen Strukturen, z.B. dunkles Geäst vor hellem Hintergrund, reflektierende metallische Kanten. Ausprägung und Stärke von Farbsäumen bei verschiedenen Blendenstufen untersuchen.
- Auflösung: flächige Strukturen (wie Henrys ehemalige Testmauer) oder Landschaft bei Unendlich. Besonders interessant bei Weitwinkel-Objektiven, Vergleich der Bildschärfe in der Mitte und an den Rändern bei verschiedenen Blendenstufen. Solche Motive geben auch einen guten Eindruck von der Stärke der Randabschattung (Vignettierung), v.a. Landschaft mit Himmel. Außerdem lassen sich so manchmal Fehler im Objektiv (verrutschte/lockere Linsen) oder Adapter (ungleichmäßige Dicke) finden, die zu einer ungleichmäßigen Schärfeverteilung führen.
- Verzerrung: Architektur-Motive (wieder Henrys Mauer, oder Gebäude im Allgemeinen). Interessant bei Weitwinkel- und Zoom-Objektiven.
- Streulichtempfindlichkeit: Gegenlichtaufnahmen, z.B. Portraits (Offenblende!) oder Landschaftsmotive bei niedrigem Sonnenstand.
- Geisterbilder/Spiegelungen: sind häufig ein Problem bei alten Objektiven, die für Film und nicht für digitale Sensoren ausgelegt sind. Manchmal kommt es zu Spiegelungen am Sensor, die im Bild zu sehen sind. Gute Testsitation sind Nachtaufnahmen mit Straßenlaternen oder beleuchteten Gebäuden. Gerade dazu findet man kaum verläßliche Informationen, da diese Eigenschaften stark von der Kombination Objektiv+Kamera abhängen.
- Aussagen zur Farbwiedergabe und zu Kontrasten finde ich generell schwierig, solange sie nicht unter Studiobedingungen entstanden sind. In der Natur können sich die Lichtverhältnisse auch in 10 Minuten so stark ändern, dass Farben und Kontraste kaum noch vergleichbar sind. Film/Sensor sind hier sehr viel empfindlicher als das Auge, das solche Unterschiede meist nicht wahrnimmt. Außerdem passiert hier bei der RAW-Entwicklung und der Nachbearbeitung so viel, dass Unterschiede der Objektive oft nicht ins Gewicht fallen.
- Extremtests (f/1.2 im Schnee, Bokehverhalten bei UWW-Objektiven, ...) können zwar Schwächen und Stärken von Objektiven aufzeigen, sind aber für meine typischen Bildmotive ohne Belang.
Wie gesagt, das ist nur meine persönliche Einstellung zu Objektivtests. Für micht zählt am Ende, ob das Objektiv zu mir "passt", also meinen Motiven etwas Besonderes gibt. Deswegen teste ich hauptsächlich an echten Motiven und nicht an Testaufbauten, auch wenn die Ergebnisse so kaum vergleichbar sind.
LG


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