Das sowjetische Industar 100U flog mir auf einer Fotobörse zu (zusammen mit diversen anderen Vergrößerungsobjektiven). Da ich bereits den speziellen VNEX-Tubus und einen Zwischenring-Set für das Apo Rodagon 4/90mm hatte, war klar, dass mittels VNEX-Set auch ein 110er ohne Probleme an die Sony A7 zu bringen war.
Technische Daten:
Tessar-Typ, 4 Elemente in 3 Gruppen, vergütet
Anzahl Blendenlamellen: 10
Blendenstufen: 1:4 - 1:22 in ganzen Blenden
Anschluss: M39
Gerechnet für das Filmformat 6x9 (60x90mm)
Herkunft: UdSSR
Hergestellt (laut lzos.ru): ab 1983
Größe (HxB) und Gewicht: 38x48mm, 134g
Filtergewinde: nicht vorhanden
Quellen:
lzos.ru
allphotolenses.com
Und so sieht das Objektiv am VNEX aus:
Der Streulichtschutz ist eine Metall-Aufsteckblende mit dem Durchmesser 42mm, die unter anderem auch auf das Rodenstock Trinar 3.5/50mm und das Minolta E-Rokkor 4.5/50 passt, die beide ebenfalls kein Filtergewinde besitzen. Für 110mm etwas kurz, aber ausreichend und besser als nichts.
Nun zu den Bildbeispielen. Alle Fotos an der Sony A7, ohne Bearbeitung aus LR in höchster JPEG-Qualität exportiert, in PS 1:2-Crops generiert und Gesamtbild auf Webgröße verkleinert. Soweit nicht anders angegeben, alle Bilder mit ISO 100.
Nahbereich am VNEX, ca. 1m, Offenblende
Die Schärfe bei Offenblende ist nicht überragend, aber gut. Kontrast finde ich tadellos und die Farben sind bei Offenblende neutral. Das Bokeh gefällt mir sehr gut, dort sieht man auch, dass sich die Blendenlammellen wie das auch bei vielen anderen Vergrößerungsobjektiven der Fall ist, nicht komplett schließen.
Der Hundehaartest, Offenblende
Auch hier ist die Schärfe gut, das Industar kommt auch prima mit Interferenzeffekten zurecht, Farbsäume sind kaum zu erkennen.
Metallische Oberflächen und CA's
Blende 4
Blende 5.6
Blende 8
Extremsituationen von metallischen Oberflächen im Sonnenlicht meistert das Industar sehr gut, besser als das ansonsten hervorragende Apo Rodagon 4/90.
Makro-Einstellung mit 10mm-Zwischenring und VNEX-Makrotubus (Naheinstellgrenze ca. 40cm)
Detail der Metallkanne auch nochmal aus der Nähe, einmal Blende 4, einmal Blende 8
Im Nahbereich ist die Schärfe sehr gut, bei Blende 8 sind auch in hellsten Bereichen sogar die feinsten Metallstrukturen differenziert sichtbar.
Hundehaare bei Blende 4
Hundenase bei Blende 5.6
Bei Blende 5.6 ist die Schärfe in diesem Nahbereich wirklich klasse, solange sich das Bildobjekt nicht im Randbereich befindet. Die Randschwäche wird bei der Unendlichkeitseinstellung noch einmal thematisiert. Wie das erheblich teurere Apo Rodagon 4/90 eignet sich das Industar mit einer schönen Brennweiten über 100mm meiner Meinung nach auch als perfektes Makroobjektiv, da es einen Abstand jenseits der Fluchtdistanz vieler Kleintiere ermöglicht. Ich habe noch einen zweiten Zwischenringsatz für die A7 geordert und werde dann noch einmal mit Insektenmakros nachlegen.
Unschärfeverlauf
Was sich beim ersten Bild abzeichnete, bestätigt sich in der Naheinstellung: Bokeh und Unschärfeverlauf gefallen gut. Die 10 Blendenlammellen des Industar 100U sorgen auch abgeblendet für ein schönes, gefälliges Bokeh.
Mauer: Vignettierung und Randschärfe
Blende 4
Blende 5.6
Blende 8
Während Schärfe in der Bildmitte auch schon bei Blende 4 gut ist, fällt sie zu den Rändern hin deutlich ab. Gut ist sie selbst bei Blende 8 noch nicht, ich vermute ein Problem des Auflösungsverhaltens, es ist also nicht weich, es ist eher der Sensor, der die Fähigkeiten der Linsen überfordert. Vignettierung ist dagegen kein Problem, da kann das Industar auch bei Blende 4 mit vielen anderen 100ern der MF-Ära konkurrieren.
Unendlichkeitseinstellung: Bildschärfe
Als leichtes Tele würde sich das Industar theoretisch auch für Landschaftsaufnahmen o.ä. eignen. Leider ist das Problem der Randunschärfe auch hier derart sichtbar, dass zumindest am 24MP-Sensor der Sony A7 von einem Gebrauch als Tele abzuraten ist.
Zunächst zur Bildschärfe im Bildzentrum, ich zeige hier nur einmal Blende 8
Auch hier zeigt sich, dass die Schärfe in der Bildmitte hervorragend ist. Das Randschärfeproblem zeige ich einmal anhand des direkten Vergleiches mit dem Apo Rodagon 4/90mm in der folgenden Grafik (Ecke rechts oben):
Fazit: das Industar ist ein tolles, kleines Objektiv mit interessanter Brennweite für kleines Geld. Tolles Bokeh, schöner Unschärfeverlauf, sehr gute Schärfe in der Bildmitte, neutrale Farben und sehr guter Kontrast. Meiner Meinung nach perfekt für Freistellung, Makro, Nahaunahmen und bei Blende 4 auch für Portraits. Wer die Totale abbilden und Schärfe bis an den Rand haben will, sollte aber zu einem anderen Objektiv greifen.
Grüße
Nils