JML Optical 0.85/64mm

Je lichtstärker ein Objektiv ist, desto mehr optische Fehler hat es. Punkt. Das ist sozusagen der erste Hauptsatz der Altglas-Bescheidwissenschaft. Ein Objektiv mit einer Blende von f/0.9 kann nicht wirklich scharf abbilden, verschmiert harte Kontrastkanten mit einem Schleier von sphärischen Aberrationen, produziert jede Menge bizarre Farbsäume und die Schärfeebene ist in der absonderlichsten Art gekrümmt. Und das ganze dann noch im Makro-Bereich, da wird es endgültig absurd. Oder?

Bis vor ein paar Tagen hätte ich diese Aussagen allesamt ohne zu zögern unterschrieben. Mit so lichtstarken Klötzen aus Röntgengeräten, TV-Kameras und Projektoren spiele ich ja schon seit geraumer Zeit herum, und man kann damit auch viel Spaß haben und zumindest interessante Bilder erzeugen. Aber rein technisch betrachtet sind das alles ziemlich Gurken, egal ob Canon, Delft, Rodenstock oder Meopta draufsteht.

Aber das hier ist ist eine andere Liga:

JML OPTICAL
64mm f/0.85

Kameraseitiger Anschluss: nicht definiert, Durchmesser der Rücklinse: 46mm
Gewicht: ca. 1100g
Gesamtlänge: 99mm
Filtergewinde: ca. 72 mm
https://www.digicamclub.de/images/mi...lossarlink.gif Blende: ca. f/0.9, nicht abblendbar
Details zum optischen Aufbau unbekannt

Anhang 125778

JML Optical ist eine Firma mit Sitz in Rochester NY, die optische Lösungen als Sonderanfertigungen und Kleinserien für technische Spezialanwendungen herstellt. Wofür dieses spezielle Objektiv hergestellt wurde, ist mir nicht bekannt, aber offensichtlich ging es um die Abbildung sehr lichtschwacher, flacher Objekte im Nahbereich. Entweder Röntgenbildschirme oder irgendwo habe ich auch etwas von Oszilloskopen gelesen. Wie auch immer, hier und da findet mal ein Exemplar aus irgendwelchen Restbeständen und Ersatzteillagern seinen Weg in die üblichen Gebrauchtwarenkanäle und ein solches habe ich mir an Land gezogen und ohne Fokussiereinheit für einen Abbildungsmaßstab von etwa 1:3 an meine Nikon Z6 (KB-Format) adaptiert.

Die ersten Ergebnisse haben mich ziemlich umgehauen. Da ist nix mit Bokehcharme und "duftiger" Unschärfe. Das Ding ist in Anbetracht der Blende ein optisches Wunderwerk.

Ob man damit etwas sinnvolles anfangen kann, steht auf einem anderen Blatt, denn die Schärfeebene ist im Nahbereich logischerweise irwitzig dünn:

Anhang 125783


Und hier noch ein zweites Mal die Bestätigung: Die Schärfeebene ist nicht im Mindesten gekrümmt sondern präzise plan:

Anhang 125784


Und wenn man in die Details hineinzoomt, dann ist die Schärfe beeindruckend. Da habe ich schon dezidierte Makroobjektive gesehen, die das bei f/2.8 nicht besser machen:

Anhang 125785

100%-Ausschnitt
Anhang 125786


Und was ist mit hellem Licht und Kontrastkanten? Comaschleier? Fehlanzeige.
Das hier ist in der prallen Nachmittagssonne auf unserem Balkontisch aufgenommen:

Anhang 125790

Das ist Blende 0.85, glänzendes Metall und volle Sonne. Ich finde das unglaublich. Ihr könnt das ja mal mit einem beliebigen Altglas bei f/1.4 probieren, da erzeugt man meistens nur blauviolett-glühenden Matsch.

Ich habe noch keine Ahnung was ich mit diesem Glasklotz in fotografischer Hinsicht anfangen soll. Eigentlich gibt es im Makrobereich ja eher das Bestreben - zur Not mit Stacking - die Schärfentiefe zu vergrößern anstatt sie auf ein kaum mehr nutzbares Minimum zu reduzieren. Aber andererseits ist es einfach beeindruckend, wie man auf diese Weise Details aus einem Chaos davor und dahinter herauslösen kann. Für Insekten wahrscheinlich vom Handling zu unflexibel und für das übliche Blümchenbokeh nicht "charmant" genug, aber irgendwas besonderes kann man bestimmt mit diesem besonderen Objektiv machen. Mal schauen ob ich es noch herausfinde...

Anhang 125795

Anhang 125796

Anhang 125797

Beeindruckend !

Gruß, Rick

Sehe ich das richtig, dass man selbst mit Nikon Z, das so ziemlich das kleinste Auflagemaß hat, das ich kenne, nicht über den Nahbereich rauskommt ?
Und für alles, was weiter weg ist, müsste man praktisch hinter den Sensor kommen :hr:

Das ist echt schade, denn das Ding hätte bestimmt Potential.

Gruß Matthias

Wo findest du die Leckerbissen nur immer.

Aber definitiv eine interessante Vorstellung!

Zitat:

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Zitat von Hias

Sehe ich das richtig, dass man selbst mit Nikon Z, das so ziemlich das kleinste Auflagemaß hat, das ich kenne, nicht über den Nahbereich rauskommt ?
Und für alles, was weiter weg ist, müsste man praktisch hinter den Sensor kommen :hr:

Das ist echt schade, denn das Ding hätte bestimmt Potential.

Gruß Matthias

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Das siehst Du richtig. Man könnte das Objektiv mit massiven Eingriffen noch ein paar Millimeter näher an den Sensor bringen, aber ich bezweifle, dass es für Portraitentfernungen reichen würde. Außerdem vermute ich, dass das Objektiv gnadenlos auf den Nahbereich optimiert ist und wahrscheinlich viel von seinen Qualitäten einbüßen würde, wenn man es für größere Abstände verwenden würde. Zum Glück habe ich ja andere lichtstarke Röntgenobjektive, die wiederum für Portraitentfernung perfekt sind und dafür im Nahbereich keinerlei Schärfe bieten. Insofern eine perfekte Ergänzung.

Wirklich sehr spannend, Helge.
Ich habe noch kein solch lichtstarkes Objektiv gesehen,
das zu diesen Leistungen in der Lage ist.
Auch die fehlende Bildfeldwölbung ist sehr aussergewöhnlich -
gerne mehr davon!
Welche Abstände erreichst du denn maximal in der jetzigen Adaption?

Wow, Helge! Ich bin beeindruckt, was du immer wieder für Schätzchen an den Tag zauberst. Völlig egal, wie nützlich das Teil ist, es ist hochinteressant. Danke!

Zitat:

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Zitat von Helge

... Das ist sozusagen der erste Hauptsatz der Altglas-Bescheidwissenschaft. ...

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Made my day! :yes::lol:

Zitat:

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Zitat von Namenloser

Welche Abstände erreichst du denn maximal in der jetzigen Adaption?

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Na ja, wie oben beschrieben, ca. Abbildungsmaßstab 1:3. Der ca. 10cm lange 10-Euro-Schein passt ungefähr auf den 35mm breiten Sensor.

In Abstand ausgedrückt sind das bei 64mm Brennweite ungefähr 30cm zwischen Sensor und Objekt bzw. 20cm zwischen Frontlinse und Objekt.

Sehr schöne Fotos, da mußt Du doch gar nicht mehr suchen, wofür die Linse paßt!

Hing wohl mal daran?
https://www.dougdeals.com/dalsa-1m30...lens-w-cables/

Zitat:

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Zitat von LucisPictor

Made my day!

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Für die nicht-Physiker unter uns: https://de.wikipedia.org/wiki/Erster..._Thermodynamik

Dalsa gibt es noch:
https://www.teledynedalsa.com/en/pro...aging/cameras/

Leider konnte ich keine Hinweise auf die Anwendungen solcher System finden, ausser eben "Industrial". Könnte also z.B. in einem Bestückungsautomaten stecken. Dort dann immer schon schauen, ob die SMD Teile auch dort sitzen, wo sie hingehören.

Sehr schöne Bilder. Jetzt habe ich doch noch ein paar Fragen an die Physiker an euch.

1. Kann so ein Objektiv so gerechnet sein, dass es nur als Makroobjektiv funktioniert?
2. Hat das Auflagemaß einen Einfluss auf die Qualität eines Objektives oder ist die Geschichte, dass die neuen DSLM Objektive besser sind nur ein Marketing-Schachzug?

Tja leider kenne ich mich nicht mit so etwas aus und muss deshalb fragen.

LG Volker

Hallo Volker,

aus den verlinkten Darstellungen von Dalsa kann man erkennen, dass diese Optik auf einen sehr kleinen Video-Sensor-Chip mit 30 Hz Bildwiederholfrequenz belichtet und der Abstand von der Hinterlinse zum Sensorchip äußerst gering ist.
Und die Arbeitsentfernung dürfte bei diesen Industrieanwendungen auch recht gering sein, unter einem halben Meter, schätze ich.
Selbstverständlich können und werden Objektive für unterschiedliche Motiv-Abstände und verschiedene Auflagemaße unterschiedlich gerechnet.
Wie schon vermutet wurde, dürfte es sich bei der Anwendung um Bestückungs- oder Abfüll-Automaten handeln.

Zitat:

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Zitat von Helge

[...]Für Insekten wahrscheinlich vom Handling zu unflexibel und für das übliche Blümchenbokeh nicht "charmant" genug [...]

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Hm, ich glaube nach meinem heutigen abendlichen Ausflug in den Park nebenan muss ich diese beiden Aussagen noch mal überdenken...


Anhang 125880


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Anhang 125884

Oh ja, das musst du unbedingt überdenken -
sieht toll aus mit dem unaufgeregten, extrem weichen Bokeh :clapping

Tolle Bilder,

v.a. das zweite ist Wahnsinn mit diesem "Auge" (oder schwarzem Loch) in der Bildmitte, das einen geradeso hineinzieht. :beten:
Blümchenfotografie auf ganz neuem Level.

Und das Objektiv taugt als extrem lichtstarkes Macro, vielleicht auch zum Stacken.

Das ist doch schon mal was. Danke fürs entdecken.

Gruß Matthias

Hallo Helge,

total schöne Bilder. Wer braucht da noch perfektes focus-stacking? :yes: Du hast einen großartigen Einsatzbereich für das Objektiv gefunden.

Grüße Volker

Wenn ein kleiner Sensor kein Ausschlusskriterium ist, so könnte man die alte Samsung NX Mini mal ausprobieren. Auflagemaß ist dort, wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, ~ 9 mm.

Hallo Helge,

auch von mir Glückwunsch zum JML. Ich bin seinerzeit, als es für eine Handvoll Dollar verkauft wurde, selbst einige mal
darum herumgeschlichen, habe es dann aber doch nicht gekauft. Ein grosser Fehler, wie Deine wundervollen Fotos beweisen...
Der aktuell aufgerufene Preis von > 500 $ ist mir aber dann doch zu heftig. :donk

Mal sehen, was in der Bucht noch so auftaucht.

Auf jeden Fall möchte ich gerne noch mehr Fotos sehen, die damit entstanden sind.


LG, Christian

Zitat:

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Zitat von gladstone

Der aktuell aufgerufene Preis von > 500 $ ist mir aber dann doch zu heftig. :donk

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Ach ja, das wird regelmäßig versucht, solche exotischen Objektive zu Mondpreisen zu verkaufen, nur weil sie lichtstark sind. Aber das ist natürlich albern wenn es um so eingeschränkt nutzbare Sachen geht. Man braucht Geduld, aber dann es geht auch anders - bei mir war der Preis bei ebay USA zweistellig.

Scharfer Blick

Anhang 126096

Durch die Kombination aus guter Schärfe und extrem geringer Schärfentiefe ergeben Bilder mit dem JML 0.85/64 manchmal eine verblüffende Intensität - das Motiv springt den Betrachter regelrecht an...

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Anhang 129044