Die Anzahl guter und (ehemals) erschwinglicher manueller Makroobjektive im Bereich 90 mm bis 105 mm Brennweite ist erheblich. Allein in der DCC-Testliste finden sich in dieser Kategorie ein gutes dutzend Testberichte und die meisten davon zeigen hervorragende Ergebnisse. Ob das daran liegt, dass diese Art von Objektiv relativ einfach zu konstruieren ist oder ob es eine Art von Fotografie ist, die leicht begeistert (und dabei evtl. geringe Schwächen des Objektivs übersehen lässt), das kann ich nicht sagen. Aber generell scheint man optisch mit all den untereinander teilweise verwandten Tamrons, Tokinas, Vivitars, Panagors und Kirons in dieser Klasse nicht viel falsch machen zu können.

Das hat allerdings auch dazu geführt, dass die Preise - und zwar nicht nur für das "Bokina" (Tokina AT-X 2.5/90) - inzwischen so in die Höhe geschossen sind, dass man sich ebenso gut bei den entsprechenden Objektiven der renommierten Hersteller umsehen kann. Ich habe daher und wegen einer Empfehlung durch einen Bekannten dem Micro-Nikkor 105mm 1:4 eine Chance gegeben und möchte es hier vorstellen.

Zunächst einmal zu den "Äußerlichkeiten", die bei einem Makro von entscheidener Bedeutung sein können, da hier das Handling vielleicht noch wichtiger ist als bei anderen Objektiven. Das Micro-Nikkor 4/105 ist in dieser Hinsicht um es in aller Deutlichkeit zu sagen das beste Objektiv, das ich bisher in der Hand hatte. Ich muss dazu sagen, dass die absoluten Spitzenobjektive (Apo-Lanthar...) nicht zu meinem Erfahrungsschatz gehören, aber ich würde dem Micro-Nikkor auf jeden Fall bescheinigen, dass es eine hervorragende Konstruktion ist, die praktisch keine Wünsche offen lässt. Das beginnt bei der für Nikkor eigentlich fast selbstverständlichen grundsoliden Vollmetallkonstruktion, und hört bei dem butterweichen Fokus noch lange nicht auf. Noch bei keinem anderen Makro habe ich eine Rändelschraube zum Fixieren des Fokus gesehen, aber wenn man dieses geniale Detail ein paar mal benutzt hat, möchte man es - gerade beim Fotografieren vom Stativ - nicht mehr missen. Und die Krönung ist die ausziehbare Streulichtblende, die eine Qualität und schiere Größe hat, die Maßstäbe setzt. Über Streulichteffekte braucht man bei diesem Objektiv jedenfalls nicht mehr zu diskutieren wenn man ein solches Rohr immer greifbar hat:

In Unendlichstellung mit eingefahrener Streulichtblende:


In Unendlichstellung mit ausgezogener Streulichtblende


Bevor ich zu den optischen Eindrücke komme, noch ein paar technische Daten:

Länge min. 96 mm
Länge max. 148 mm (ohne Sonnenblende)
Gewicht 495 g
Nacheinstellgrenze 0,47 m
max. Maßstab am KB-Sensor 1:2
Blenden 4-32 in ganzen Stufen
7 Blendenlamellen
Opt. Konstruktion: 5 Linsen in 3 Gruppen
Das Mikro-Nikkor ist bezüglich der optischen Konstruktion baugleich mit dem Nikkor Bellows 4/105 Balgenkopf

Die ersten Eindrücke bezüglich der optischen Leistung sind fast ebenso erfreulich wie das Handling. In seinem angestammten Metier, dem Nahbereich ist das Objektiv ohne Fehl und Tadel, scharf schon bei Offenblende wie man das erwarten darf und ohne erkennbare Schwächen. Was man vielleicht bei der relativ kleinen Offenblende nicht so erwarten würde, wäre ein schönes Bokeh, aber zumindest im Nahbereich stellt man schnell fest, dass die Blende hier weniger eine Rolle spielt als man denkt. So sieht das bei f/4 an der Naheinstellgrenze aus:


Link zur hohen Auflösung: http://www.abload.de/img/mn105_g-1670f3.jpg

Gerade feine Strukturen und Mikrokontraste bildet das Objektiv sehr sauber ab. Da ist der fokussierte Bereich scharf und der out-of-Focus Bereich unscharf aber nichts ist matschig oder undefiniert, und das wirklich bis in die Ecken des KB-Sensors. Unschärfe in den Ecken oder Lichtabfall scheint bei diesem Objektiv absolut kein Thema zu sein - nicht einmal bei Offenblende. Auch die Bildfeldwölbung scheint wenn überhaupt vorhanden dann nur minimal zu sein, so dass sich das Objektiv auch für Reprozwecke gut eignen dürfte (Beispielbilder muss ich noch nachreichen.)

f/8

Link zur hohen Auflösung: http://www.abload.de/img/mn105_g-8kv0jn.jpg


Auch abgeblendet bleibt der Hintergrund noch weitgehend unauffällig solange der Abstand zum Motiv weit genug ist. Natürlich treten Strukturen dann deutlicher hervor aber keine schillernden Kontrastkanten oder harte Übergänge stören bei solchen Motiven, auch noch im mittleren Entfernungsbereich:

f/5.6

Link zur hohen Auflösung: http://www.abload.de/img/mn105_g-7b2vk4.jpg


Wirklich ins Staunen kam ich dann aber, als ich das Objektiv versuchsweise für andere Zwecke als Nahaufnahmen verwendet habe. Gerade weil es optisch auf einem Balgenobjektiv beruht, hätte ich hier nicht viel erwartet, aber dann schaut euch mal dieses Haus und den daraus gezogenen 100%-Crop oder noch eindrucksvoller die hochaufgelöste Bilddatei an und denkt daran: Das ist Offenblende und der Crop ist vom Bildrand am Vollformatsensor!

f/4

Link zur hohen Auflösung: http://www.abload.de/img/mn105_g-2oh3zm.jpg


100%-Crop



Bei dieser Schärfe müssten die meisten Kurzteles vor Neid erblassen und CAs sucht man ebenfalls vergeblich. Man hat mit dem Micro-Nikkor also auch noch ein voll für KB-Format taugliches Allround-Objektiv, das sich in praktisch allen Situationen, die nicht hohe Lichtstärke erfordern, hervorragend bewährt. Dazu gehört ein weitestgehend unproblematisches Verhalten bei metallisch glänzenden Teilen und prallem Sonnenlicht. Mehr als ein paar kleine Purpursäume in der 100%-Ansicht treten da nicht zutage und die Schärfe leidet auch bei Offenblende absolut nicht unter zerfließenden Kontrastkanten wie bei vielen anderen Objektiven:

f/4

Link zur hohen Auflösung: http://www.abload.de/img/mn105_g-4ed3bk.jpg


Streulichtempfindlichkeit ist wie gesagt kein Thema allein schoin wegen der hervorragenden eingebauten Blende, aber selbst wenn man direkt in die Sonne fotografiert, was bei einem Makro wohl eher unüblich ist, treten keine Blendenflecke oder sonstige störende Artefakte auf:

f/16



Und zum Schluss noch ein Bild, das ein paar bunte Highlights im Hintergrund zeigt: Die Uferstraße des Zürichsees bei Nacht. Die Kette erscheint auf den ersten Blick etwas unstrukturiert und kontrastarm, was aber an der flauen Beleuchtung liegt. Ein Blick in die hochaufgelöste Datei zeigt, dass bei denjenigen Kettenglieder, auf die fokussiert wurde, auch die feinen Rostrukturen noch zu erkennen sind:

f/4

Link zur hohen Auflösung: http://www.abload.de/img/mn105_g-30q0wl.jpg


Mein bisheriges Fazit: Ein exzellentes Objektiv, das im Makrobereich überzeugt und anderen Konkurrenten vor allem im Handling (Feststellschraube, Streulichtblende) davonzieht und als Allrounder auch auf größere Entfernungen verblüffende Qualitäten entwickelt. Die praktisch vollständige Abwesenheit von optischen Fehlern (CAs, Überstrahlen, Randabfall, Flares, Bildfeldwölbung) macht es zu einem wunderbar unproblematischen Werkzeug. DIe einzigen Schwächen, die ich bisher entdecken konnte, waren der doch relativ rapide Schärfeabfall durch Streuungseffekte beim Abblenden ab f/16 und der auf 1:2 limitierte Maßstab. Letzteres ist allerdings für mich persönlich überhaupt kein Problem, da ich mit der Olympus E-3 bei Bedarf einen "verlustfreien Konverter" habe, der mir den Maßstab 1:1 ermöglicht bei einem Handling das der EOS 5D sogar noch überlegen ist.