Meyer Görlitz Orestegor 4.0/300 M42 P6
Hallo,
nachdem ich gestern mit dem Glasklotz den vor meinem Zimmer stehenden Kirschbaum bzw. seine Blüten penetriert habe dachte ich mir, ein Testbericht könnte nicht schaden, zumal mit dem Teil schon eine Menge Bilder an meinen EOS entstanden sind. Bilder und Vergleichsreihen folgen also noch.
Opt. Aufbau:
Es handelt sich um ein modifiziertes Petzval-Design mit 5 Linsen in 4 Gliedern, das vordere, positive, Glied enthält nach der Frontlinse eine Kitt-Gruppe, das zerstreuende Glied hinten besteht aus zwei frei stehenden Linsen. Die Optik ist einfach vergütet und wird mit einer sehr kurzen Gegenlichtblende geliefert, wie dies für eine Reihe von Meyer-Objektiven typisch ist. Die Blende besteht - Meyer-üblich - aus 19 Lamellen und ist stufenlos verstellbar.
Es ist eine Vorwahlblende vorhanden (rastbar), Springblende etc. sind nicht vorhanden. Diagonaler Bildwinkel, bezogen auf den M42-Anschluß (KB), ist 8°.
Mech. Aufbau:
Das Objektiv ist sehr solide gebaut, entsprechend schwer ist es, der Schneckengang, der den gesamten Linsensatz beim Fokussieren verschiebt, ist nichts desto trotz leichtgängig und mit etwas Gewöhnung gut bedienbar. Naheinstellgrenze 3,60m.
Das Objektiv verfügt, wie sein großer Bruder 1:5,6/500mm über einen Wechselanschluß, der für die damals DDR-üblichen Kameras gewählt werden konnte und aus einem losen Adapterstück besteht, das an einem Stift ausgerichtet wird und per Überwurfring seine Fixierung erfährt.
Nach anfänglichen Versuchen mit der üblichen "M42"-Glocke erschien die Verwendbarkeit vom Stativ wegen andauernder Schwingungsprobleme (Spiegelschlag, Verschluß) mit der angesetzten DSLR (EOS 10D + Batteriegriff, später 400D) doch recht eingeschränkt, darauf hin wurde ein "P6"-Anschluß angesetzt + P6/EOS-Adapter, diese Kombination scheint steifer zu sein, die Schwingungsthematik ist damit dahin. Bei der D60 treten die Schwingungen, wie ich überrascht festgestellt habe, nicht auf. Es scheint so, als würde diese den Spiegel langsamer bewegen als die neueren Gehäuse. Die Unendlich-Position wird problemlos mit dem einen wie dem anderen Arrangement erreicht.
Der 360° drehbare und per Drehknopf zu verriegelnde Stativanschlußring, der serienmäßig vorhanden ist, ist stabil und leichtgängig, er kann auch als Stütze bei der Verwendung aus der Hand dienen. Achtung - 3/8'' - Gewinde, Reduziermuffe erforderlich!
Tabellarisch:
- 5 Linsen / 4 Gruppen
- Vorwahlblende 4 - 22
- Filtergewinde 95mm
- Baulänge 215 mm (o. Gegenlichtblende)
- Masse 2180 g
Erfahrungen:
Ausgehend von dem erheblichen Gewicht bestehen zwei Optionen:
- ein trainierter Unterarm und Freihand mit kurzer Verschlußzeit, ca. ab 1/250s,
- oder ein stabiles Stativ.
Ich verwende für die großen Ost-Linsen das Manfrotto 161MKIII. Dann lassen sich die optischen Fähigkeiten des Objektivs auch real nutzen. Der aktuell noch verwendete Kugelkopf wird noch durch einen Getriebeneiger ersetzt.
Bei offener Blende herrlich malerisch weich, bei Blenden ab 5,6-8 scharf, kann man mit dem Objektiv eine Menge jenseits der reinen Abbildung anfangen. Selbst am Balgengerät (BalPro) ist es verwendbar, wenngleich mir dabei die Belichtung derzeit noch nicht richtig gelingt. Blenden jenseits 16 bringen keine weitere Verbesserung. Vermutlich schlägt da die Beugung an der Blende schon zu.
Durch die viel zu kurze Gegenlichtblende ist das Objektiv ohne weitere Maßnahmen sehr streulichtempfindlich, aus diesem Grund verwende ich es mit einer längeren, adaptierten Heliopan-Metall-Blende, die mehr als drei mal so lang ist wie die originale. Dazu kommt ein UV/IR-Cutfilter (B&W 486), was aus meiner Sicht Farbwidergabe und die Tendenz zu flauen Bildern deutlich gemildert hat, der Filter kam allerdings schon, als es die lange GeLi noch nicht gab. Angesichts der rein mechanischen Abmessungen des ganzen Setups und des Schutzes der großen Frontlinse bleibt das "Möbel" immer auf dem Objektiv, man kann es dann - rein praktischer Effekt - auch mal abstellen.
Die nachfolgend in der Pipeline befindlichen Testmotive wurden mit meinem Objektiv im Lieferzustand jeweils mit einer EOS D60, Arbeitsblendenmessung, Modus AV, RAW-Datei mit Raw-Therapee entwickelt und auf Bildschirmmaß verkleinert, ohne Schärfung erstellt. Jeweils Blende 4 - 22 in ganzen Stufen, soweit man das bei der stufenlosen Blende anhand der Gravur einstellen kann.
Testmotive:
Kirschbaum-Blüten - Abstand ~ 4m, durch die (geputzte) Fensterscheibe,
Flaggenstock Kurhotel Bad Ems - Abstand ~ 150m
Limes-Turm - Abstand oo
Alle Aufnahmen vom Stativ mit dem "Knickohr-Timer" als Fernauslöser.
Fazit:
Wegen der Abbildung und der guten Fokussierbarkeit im Telebereich neben dem Tele-Tessar 250/4 und vor dem Sonnar 300/4 mein Lieblingstele. Die beiden Zeiss-Linsen sind unstrittig schärfer, auf lange Distanzen sind sie immer die bessere Wahl. Wenn man die große Öffnung aber auf mittlere Distanzen zum Freistellen nutzen möchte, ist das Bokeh und meiner Empfindung nach auch das Handling mit dem Orestegor besser. Durch die stufenlose Blende kann man manches feinfühliger einrichten als mit der Rastblende der anderen. Und Blende 32 bzw. 45 beim Sonnar habe ich glaube ich noch seltenst benötigt.
Für die feinfühlige Verwendung ist ein stabiles Stativ mit guter Dämpfung erforderlich, ein passender Getriebeneiger dazu das Optimum. Mit den + DSLR > 3 kg auf dem Stativkopf sind die heute gerne verkauften Leichtstative schlichtweg überfordert. Die Ausschwingzeit beträgt dann mehrere Sekunden, was selbst mit Spiegelvorauslösung und anderen Tricks nur mühsam in den Griff zu bekommen ist bzw. das flexible Fotografieren so gut wie ausschließt.
Bei etwas Training kann man eine Kombi aus Objektiv, DSLR und Batteriegriff gut in der Hand führen, da der Stativring als Stütze dienen kann. Ein Einbeinstativ tut natürlich auch gute Dienste - bessere, als ein zu leichtes Dreibein (!).
Belichtung messen, Blende voreinstellen, Blende auf/fokussieren - abblenden - auslösen kann einem, wenn man in seinem Leben mal mit manueller Fotografie angefangen hat, in Fleisch und Blut übergehen. Wenn man dann noch den AV-Modus nutzt und der Kamera das Finetuning überlässt geht nichts schief. Der AF sowohl meiner D60 als auch der 400D sowie die Schnittbild-/Mikroprismenring-Scheibe einer 10D kommen einwandfrei mit der Linse klar.
Bad Ems, den 17.04.2012
Jörg
http://www.digicamclub.de/attachment...3&d=1334769563
EOS D60 + BG + Adapter EOS/P6 + Objektiv + Filter + Gegenlichtblende
http://www.digicamclub.de/attachment...4&d=1334769602
Das selbe Setup v. vorn
http://www.digicamclub.de/attachment...5&d=1334769631
Das abgenommene Objektiv v. hinten
http://www.digicamclub.de/attachment...6&d=1334769672
Das Objektiv mit Blick auf den Stativanschluss
http://www.digicamclub.de/attachment...7&d=1334769975
Die Blende
Und - wie angekündigt, die Testaufnahmen.
Testbedingungen:
EOS D60 + Adapter EOS/P6 + Objektiv + UV/IR-Cut + orig. Gegenlichtblende, alles auf Manfrotto-Kugelkopf und 161 MKIII, Fernauslöser "Knickohr-Timer"
http://www.digicamclub.de/attachment...5&d=1334909901
Blende 4 - Einrichtungs- und Schärfetest.
http://www.digicamclub.de/attachment...6&d=1334909916
1. Bild der Testreihe, Bl. 4
http://www.digicamclub.de/attachment...7&d=1334909936
2. Bild der Testreihe, Bl. 5.6
http://www.digicamclub.de/attachment...8&d=1334909955
3. Bild der Testreihe, Bl. 8
http://www.digicamclub.de/attachment...9&d=1334909971
4. Bild der Testreihe, Bl. 11
http://www.digicamclub.de/attachment...0&d=1334909987
5. Bild der Testreige, Bl. 16
http://www.digicamclub.de/attachment...1&d=1334910003
6. und letztes Bild der Testreihe, Bl. 22
Leider zog es sich nach und nach zu, da ich alle Bilder gleich bearbeitet habe werden die späteren Bilder immer flauer. Nach dem Abbau kam die Sonne dann wieder - shit happens.
In Kürze folgt die zweite Serie, sobald für die restlichen Außenaufnahmen die Sonne scheint.