In einem Zustand völliger geistiger Umnachtung habe ich ein Objektiv mit Fungus gekauft, ein Objektiv, hinter dem ich schon lange her war und das ich m.M.n. durchaus preiswert erwerben konnte: ein Leitz Telyt 4,8/350 mm. Bin ich noch zu retten? Ist das nicht rausgeschmissenes Geld? Steckt nicht der Glaspilz meine anderen Linsen an? Ist das nicht ein Kauf für die Tonne?

Diese "geistige Umnachtung" ist natürlich gelogen. Ich habe die Linse mit klarem Kopf und nach reichlicher Überlegung gekauft. Im Netz hatte nämlich ein Leica-Händler in meiner Stadt diese Linse zu einem Preis angeboten, der ca. die Hälfte des normalen Gebrauchtpreises (Zustand A/B, Bj. 1981) ausmachte (oder sogar noch etwas weniger). Die Angabe "Fungus" hatte ich in der Aufregung überlesen. Sofort fuhr ich hin und sah dort die Bescherung: eine größere Fungus-Stelle (ca. 8mm Durchmesser), vier mittlere und drei kleine:

IMG_2553.jpg

So eine Linse kommt für mich nicht infrage - aber ich kann ja vor der Tür des Händlers ein paar Probeaufnahmen machen um zu sehen, wie sich die Fungusstellen im Bild auswirken. Das wäre doch interessant! Zuhause sah ich mir die Aufnahmen am eigenen PC an - und erkannte keinerlei Bild-Beeinträchtigung durch den Glaspilz. Doch - ich hatte auch eine Aufnahme mit Blende 22 in den bedeckten Himmel hinein gemacht - und da war allerdings ein Schatten erkennbar. Hier der Schatten bei 100%crop und wilder Kontrastverstärkung:

IMG_2386 Fungus 100%crop kontrastverst.jpg

War das nun ein Schatten einer Fungusstelle, aber die Umrisse stimmen doch überhaupt nicht überein. Vielleicht war es auch der Schatten eines neugierigen Engelchens in der Wolkendecke? Auf den anderen Bildern entdeckte ich keinerlei Schatten. Sie waren durchgängig klar und scharf, wo sie scharf sein sollten. Im DCC las ich alles, was ich in der Suchfunktion über Fungus/Glaspilz finden konnte und lernte, daß Fungus nach Auseinandernehmen des Objektivs entfernbar war (was ich mir nicht zutraue) und zumindest abgetötet werden konnte (1 Std. Backofen bei 80°C oder/und Sonnenlicht mit seiner UV-Strahlung). Nach reiflicher Überlegung und im Vertrauen auf die Ratschläge im Forum zur Abtötung des Pilzes entschloß ich mich zum Kauf, zumal ich den Händler noch auf 60% des Verkaufspreises drücken konnte.

Zuhause genoß die Linse dann den Backofen und die Sonne in der Fensterbank, dann folgten Testaufnahmen:

IMG_2403 Telyt350 f16.jpg
f 16 auf ca. 5m

IMG_2403 Telyt350 f16 100%crop.jpg
dto. in 100%crop

IMG_2499A Telyt350 f4,8.jpg
f 4,8 auf ca. 15m

IMG_2499A Telyt350 f4,8 100%crop.jpg
dto. in 100%crop

Ich finde die Linse ausgesprochen scharf, wie ich das von meinen anderen Leica-R-Objektiven an der 5D2 gewohnt bin, kann aber auch Vignetierung und eine leichte CA-Schwäche nicht verleugnen. Mein Fazit aus dieser Erfahrung ist, daß man von Glaspilz befallene Objektive beruhigt kaufen kann, wenn man sie gründlich getestet hat, der Fungus nicht zu stark ist und man das Vertrauen hat, daß sich der Pilz tatsächlich töten läßt und dann sich nicht weiter ausbreiten kann. Trotzdem werde ich mich noch erkundigen, was eine professionelle Entfernung des Pilzes kostet; er scheint hier nur die zweite Linse befallen zu haben.

Die Linse ist groß und schwer; man könnte jemanden damit erschlagen, aber sie ist ein wertiges und grundsolides Stück deutscher Wertarbeit. Das Gewicht beträgt 1,82 kg, die Länge mißt 286 mm - nichts für Freihandaufnahmen! Ich benutze mindestens ein Monopod. Die Tiefenschärfe ist äußerst gering, bei f 22 von ca. 100 m bis unendlich, bei f 8 ungefähr von 3 m bis 3,10 m ( nach der Scala geschätzt). Die Fokussierung ist etwas einfacher als bei meinen Normal- und WW-Linsen, dennoch nicht einfach genug für mich. Ich habe schon eine Displaylupe im Shop geordert.

Mich würde nun interessieren, wer eine Funguslinse schon längere Zeit in Gebrauch hat und bestätigen kann, daß der Glaspilz sich tatsächlich hat abtöten lassen.